Juli 23

Wie wirkt sich ein Keil zur Trachtenerhöhung auf die Verteilung der Kräfte im Huf aus?

Keil oder nicht Keil, das ist hier die Frage….

In der letzten Zeit war ich in der einen oder anderen Facebook Gruppe unterwegs, die rund um das Thema Huf entstanden sind. Dabei ist mir aufgefallen, dass es etliche Themen gibt, die heiß umstritten sind. Das ist nur natürlich, da diese Gruppen häufig ihren Ursprung bei Hufschulen haben, deren Absolventen ihr Gelerntes manchmal geradezu dogmatisch wie eine Weltanschauung verteidigen.

Zu diesen Themen gehört auch, wie sich die Kräfteverhältnisse im Huf ändern, wenn man die Trachten (den hinteren Teil des Hufes) mit Hilfe eines Keiles höher stellt.

Dieses wird in der Regel aus orthopädischen Gründen gemacht, etwa um die tiefe Beugesehne zu entlasten, aus welchen Gründen auch immer. Diese Wirkung scheint auch nicht wirklich umstritten zu sein.

Warum einen Keil benutzen

Bei Pferden mit einer akuten Hufrehe benutzt man einen Keil aus verschiedenen Gründen.

  1. um die tiefe Beugesehne zu entlasten, die unten am Hufbein ansetzt. Davon verspricht man sich eine Minimierung der Rotation des Hufbeines in der Hornkapsel, die bei einer Hufrehe häufig auftritt.
  2. um das “Abrollen” des Hufes zu erleichtern, was wiederum die tiefe Beugesehne entlastet (siehe 1)).
  3. um das einfallende Gewicht des Pferdes möglichst auf die hintere Hufhälfte zu verlagern, um die geschädigte und schmerzende vordere Hufhälfte zu entlasten.

Die unter Punkt 3) angeführte Wirkung wurde in den Kommentaren immer wieder bestritten.Bei dieser Gelegenheit erinnerte ich mich daran, dass ich einmal eine Doktorarbeit (Dissertation) zu diesem Thema gelesen habe.

Zum Glück habe ich diese auch wiedergefunden:

Dissertation zum Thema

Pascal Klunder (aus Frankreich) hat im Jahr 2000 seine Doktorarbeit an der veterinärmedizinischen Fakultät der freien Universität Berlin eingereicht mit dem Titel:

“Physikalische Auswirkungen der Trachtenhochstellung am Huf des Pferdes”

Herr Dr. Klunder hat für seine Untersuchungen einen modifizierten Hufschuh benutzt, der mit Hilfe von Druckrezeptoren die Verteilung der vom Pferdegewicht erzeugten Kraft in den vier Quadranten des Hufes messen kann (also äußere Zehe, innere Zehe, äußere Trachte, innere Trachte).

Zu seiner Methodik schreibe ich weiter unten noch etwas, aber für die ungeduldigen erst mal die Ergebnisse:

Ergebnisse

Er hat gemessen, dass bei gesunden/lahmfreien Pferden ohne eine Trachtenerhöhung, also einfach plan auf dem Boden stehend, der Huf im Stand recht gleichmäßig mit Gewicht belastet wird. Die vordere Hufhälfte nahm dabei etwas mehr Kraft auf als die hintere (ca 2%) und die äußere ein bisschen mehr als die innere (Prozentzahl vergessen).

Konkret bedeutete dies, daß die hintere Hufhälfte im Schnitt 48% des Gewichtes getragen hat.

Nachdem er die Keile unter den Hufschuhen angebracht hatte zeigte sich ein völlig anderes Bild. Die Keile hatten an der dicken Seite 3 cm Höhe und bewirken einen Winkel zwischen Hufunterseite und Boden von 20°.

Nach dem Anbringen dieser Keile also trug die hintere Hufhälfte bei gesunden Pferden nicht mehr nur 48%, sondern nunmehr 84% des einfallenden Pferdegewichtes!

Es ist also genau das passiert, was man sich für ein Pferd in einem akuten Reheschub wünscht!

Lassen wir Dr. Klunder einmal selbst zu Wort kommen:

“Diese Feststellung, ähnlich wie die Ergebnisse in der Druckpresse, lassen den Schluß zu, daß die Trachtenhochstellung die Gesamthufkraft bzw. die vertikale Hufkraft einer Gliedmaße in den Trachtenbereich verschiebt. Die Trachten werden vermehrt belastet, die Hufspitzen um die Kraftdifferenz entlastet (die Gesamthufkraft bleibt unverändert).”

Außerdem konnte er seinen Messungen entnehmen, dass der Schwerpunkt der Kraft im Mittel 3-4 cm hinter der Strahlspitze liegt. Das ist gut, weil in der Regel der Bereich des größten Schmerzes vor der Strahlspitze liegt, wenn das Pferd von einem Reheschub betroffen ist.

Rehepferde

Klunder hat auch Pferde in seine Arbeit aufgenommen, die an einer Hufrehe erkrankt waren.

Diese zeigten eine Besonderheit: Bereits bei der Messung ohne den Keil trug hier die hintere Hufhälfte 61-63% des Pferdegewichtes, also deutlich mehr als die 48% beim gesunden Pferd. Das leuchtet ja auch ein, da ein Rehepferd ja versucht, den schmerzenden Bereich der Zehe zu entlasten. Daher ja auch die rehetypische Trachtenfußung.

Mit dem 3cm/20° Keil lag die Belastung der hinteren Hufhälfte fast genauso wie bei den gesunden Pferden bei 81-82% (84%).

Mit anderen Worten: Auch bei Rehepferden wird die Last durch das Anbringen einer Trachtenerhöhung weiter in die hintere Hufhälfte verlagert als sie es von sich aus schaffen.

Methodik

Noch kurz zur Vorgehen von Pascal Klunder:

Er benutzte für seine Arbeit 2 Methoden:

Zum einen benutzte er 30 abgetrennte Vorderbeine von Pferden, die er vom Schlachthof bekam. Diesen zog er den besagten Hufschuh mit Messvorrichtung an und spannte sie in eine Apparatur mit Druckpresse, die es ermöglichte, die Kräfteverhältnisse eines stehenden Pferdes zu simulieren.

Zum anderen hat er Messungen an 30 lebenden, gesunden/lahmfreien Pferden vorgenommen und zwar am stehenden Pferd.

Die Messungen mit Hilfe der Druckpresse entsprachen sehr gut denen an den lebenden Pferden, weswegen sie zusammengefasst werden konnten.

Die Gruppe der Rehepferde war fünf Pferde groß und wurde genauso untersucht, wie die der gesunden Pferde.

Jede Messung wurde 3 Mal vorgenommen. Außerdem gab es noch röntgenologische Untersuchungen. Den Link zu der Arbeit füge ich unten an.

Andere Meinungen

Bei meinen Recherchen habe ich herausgefunden, dass Frau Dr. Rasch dieser Meinung ist:

“Unter Umständen führt eine Anhebung des hinteren Hufbereiches bei diesen Situationen zu einer unerwünschten Mehrbelastung des Hufbeinträgers im Bereich der Zehenwand, bewirkt letztlich also das Gegenteil dessen, was man eigentlich beabsichtigt”

Sie führt an, dass drei Arbeiten zu diesem Thema zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kämen. Und zwar DOHNE 1991, KLUNDER 2000, BUCHNER 2008.

Leider stehen mir die Arbeiten von Dohne und Buchner nicht zur Verfügung.

Meine Meinung

Ich glaube aber, dass das Pferd das letzte Wort haben sollte. Die meisten Pferde, die ich in einem akuten Reheschub gesehen habe, liefen jedenfalls mit einem Keil besser als ohne.

Aber man sollte sich schon die Zeit nehmen, es auszuprobieren und offen sein für das Unerwartete. Nur weil in meiner Welt etwas wahr ist und von Experten untermauert wird, muss es nicht in jedem Fall funktionieren. Wahrheit ist in der Wissenschaft ja häufig eher so eine Art Arbeitshypothese, die gut funktioniert. Sie Ist solange wahr, bis sie jemand widerlegt.

Oder, wie ich gerne sage: Die Welt entsteht im Kopf😉 



Tags

Biomechanik, Huf, Hufrehe, Keil, Trachtenerhöhung

Kontaktformular

Wenn Du mir eine Anregung oder einen Themenvorschlag senden möchtest, benutze dieses Kontaktformular

>