Zwischen Jungpferden, Lahmheiten und Cushing

Er hatte sich heute Morgen schon gedacht, dass der Tag eine gewisse Dramaturgie bereithalten würde – der Nebel, der Sprühregen, neun Grad, und dann dieses ständige Hin und Her der Sonne, als könne sie sich nicht entscheiden, ob sie nun bleiben oder gehen wolle. Aprilwetter, nur eben mit gelben und braunen Blättern, die bei jeder Windböe wie Schnee vom Himmel rieselten. Ein herbstlicher Auftakt, der immerhin versprach, dass es nicht langweilig werden würde.

Fast den gesamten Tag verbrachte er an einem Stall, in dem Vollblüter gezüchtet werden. Pferde aller Altersklassen, und wie das eben so ist: Anspruchsvoll sind sie ja sowieso, die Vollblüter, aber die Jungpferde setzen dem Ganzen noch die Krone auf. Immerhin, das Arbeiten war insgesamt in Ordnung – mit einer kleinen Ausnahme. Ein Jährling hatte beschlossen, dass heute nicht sein Tag für Hufpflege war. Hinten ausschneiden? Keine Chance. Ein Tritt, ein Abdrängen, und er sah keinen Grund, seine Gesundheit für einen besonders eigensinnigen Vierbeiner zu riskieren. Also die Empfehlung: Erst einmal weiter üben, damit das Pferd lernt, die Hufe zu geben. Er konnte ja verstehen, dass das Personal bei der Menge an Pferden nicht jedes Tier so intensiv betreuen kann wie ein Privatmann sein Fohlen. Aber bei diesem Jährling, da müsste definitiv noch nachgearbeitet werden. Vielleicht wäre professionelle Hilfe von außen eine Idee. Andererseits, wenn man Vater und Mutter kennt, ahnt man schon, dass das mit den Hinterhufen wohl immer ein Abenteuer bleiben wird.

Natürlich blieb zwischen all dem auch Zeit für Gespräche mit den Angestellten. Mit der Auszubildenden etwa, die von einem schweren Unfall einer Berufsschulkollegin erzählte. Ein guter Anlass, um das Thema Sicherheit im Umgang mit Pferden noch einmal durchzugehen. Handschuhe beim Führen? Für ihn selbstverständlich. Keine Schlaufen beim Anbinden, damit die Finger dranbleiben. Und bloß nicht zu nah an ein anderes Pferd anbinden, sonst gibt’s schnell Ärger am Hinterteil. Beim Verladen sowieso höchste Vorsicht – er hatte schon von tödlichen Unfällen gehört, wenn die Stange nicht richtig drin war und das Pferd beim Schließen der Klappe rückwärts aus dem Hänger wollte. Man lernt nie aus.

Ein paar hundert Meter weiter, im Nachbarstall, wartete noch ein Pferd auf ihn. Das war schnell erledigt, und eigentlich hätte er jetzt Feierabend gehabt. Eigentlich. Denn dann kam noch ein Anruf: Ein lahmendes Pferd, Verdacht auf Hufgespür, nur ein paar hundert Meter entfernt. Also noch ein Abstecher. Das Pferd zeigte allerdings keine typischen Anzeichen – keine Pulsation, die Zange brachte auch nichts zutage. Nach der Untersuchung wollte das Hinterbein kurz nicht mehr so recht, was die Besitzerin beunruhigte, aber nach ein paar Schritten lief alles wieder normal. Ein kleines Rätsel, dessen Lösung noch aussteht.

Währenddessen kam noch eine Stallkollegin vorbei, deren Pferd er vor ein, zwei Wochen wegen einer leichten Lahmheit untersucht hatte. Damals hatte er mit der Tierärztin eine Röntgenaufnahme des Hufes vereinbart, Verdacht auf schleichende Hufbeinsenkung, vielleicht durch Cushing. Der ACTH-Wert war tatsächlich deutlich erhöht, jetzt bekommt das Pferd das entsprechende Medikament. Die Lahmheit ist inzwischen verschwunden – vielleicht ist der Fall damit abgeschlossen, und das Medikament verhindert nur noch künftige Probleme.

Jetzt ist er zu Hause angekommen. Feierabend. Ein Tag, der mit Nebel begann und mit einem kleinen Rätsel endete – und irgendwo dazwischen lag wieder alles, was diesen Beruf so besonders macht.

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