Tag 4- Reheverdacht und geheime Reitlehrerschulung

Heute war einer dieser Tage, an denen der Herbst sich nicht nur zeigt, sondern regelrecht aufdrängt. Zwölf Grad, bedeckter Himmel, und der Wind – dieser Wind! – pfeift einem so kühl um die Ohren, dass man sich fragt, ob er nicht heimlich mit dem Winter unter einer Decke steckt.
Er war unterwegs, wie immer, von Stall zu Stall, und die Pferde? Nervös, unruhig, auf der Hut. Fast alle. Es ist schon faszinierend, wie der Wind die Tiere beeinflusst.
Er erinnerte sich an diese Theorie, die er mal gehört hatte: Pferde seien bei windigem Wetter schreckhafter, weil sie die Witterung eines Raubtiers nicht so gut aufnehmen könnten.
Ob das stimmt? Keine Ahnung. Aber es klingt zumindest plausibel…
 
Die beiden Ponys auf dem Bauernhof waren schnell erledigt. Hufe geschnitten, alles wie immer. Der alte Bauer war natürlich dabei, wie immer. Und wie immer war es ein Vergnügen, mit ihm ein bisschen Blödsinn zu reden und seinen Geschichten von früher zu lauschen. Es ist erstaunlich, wie jemand, der so viel erlebt hat, immer noch die Energie findet, Anekdoten mit einem Augenzwinkern zu erzählen.
Vielleicht liegt es an der frischen Landluft. Oder an der vielen Arbeit.
 
Dann ging es weiter, zum letzten Stall des Tages. Die Stallgasse lag direkt neben einer riesigen Reithalle, und natürlich war dort gerade Reitunterricht. Man hört es ja sofort, auch wenn man kein Wort versteht.
Dieser Tonfall der Reitlehrer – langgezogenes „SOOO“ oder „JAAAA“, als gäbe es eine geheime Schule, in der genau das gelehrt wird.
Er musste schmunzeln. Vielleicht gibt es ja wirklich eine Art Reitlehrer-Akademie, wo man lernt, wie man diesen Tonfall perfektioniert.
Es wäre jedenfalls eine Erklärung.
 
Auf dem Heimweg im Auto fiel ihm die kleine Stute von vorhin wieder ein. Die Hufeisen hatte er abgenommen, und dabei war ihm etwas aufgefallen.
Die weiße Linie war verbreitert, und zwar deutlich. Ein Rehering war zu sehen, und die divergierende Linie – alles deutete darauf hin, dass die Stute in den letzten sieben Wochen einen kleinen Reheschub gehabt haben musste.
Er hatte der Besitzerin ausrichten lassen, sie solle ihn anrufen.
 
Am Stall wusste niemand etwas. Die Stallnachbarin meinte nur, das Pferd sei ja ohnehin alt und laufe nicht immer schön.
Aber heute? Heute lief die Stute tadellos, ohne Symptome, ohne Pulsationen, ohne empfindliche Stellen an der Hufsohle.
Das machte die Sache nicht weniger rätselhaft.
 
Er war gespannt, ob die Besitzerin sich melden würde. Und was sie zu sagen hätte. Vielleicht war es nichts. Vielleicht war es etwas.
Aber das war eben Teil seines Alltags – die kleinen Rätsel, die sich zwischen Huf und Boden verstecken.
Heute jedenfalls war der Tag vorbei, und der Herbst hatte ihn begleitet, mit all seiner kühlen, windigen Eigenart.
Ein Tag wie viele, und doch einer, der ihn zum Nachdenken brachte.

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