Es versprach ein Tag zu werden, der sich in die Kategorie „unspektakulär, aber angenehm“ einordnen ließ. Er hatte sich darauf eingestellt, bei mildem Wetter in einem nahegelegenen Pensionsstall zu arbeiten, ohne Hektik, ohne Stress – ein routinierter Ablauf, wie er ihn schätzte. Doch wie so oft, wenn man sich auf Routine verlässt, nimmt der Tag eine Wendung, die einen länger als geplant beschäftigt.
Der Morgen begann tatsächlich wie erwartet. Ein Pferd, das er vor sechs Wochen schon einmal begutachtet hatte, stand auf seiner Liste. Damals war es lahm, der Kronenrand auffällig verdickt, und die Tierärztin hatte ein Hufgeschwür vermutet. Es war eine klassische Situation: eine aufgeplatzte Stelle, ein wenig Eiter – alles deutete darauf hin. Doch die Details, die der Besitzer später preisgab, ließen die Diagnose ins Wanken geraten. Die aufgeplatzte Stelle war nämlich schon einen Tag vor der Lahmheit sichtbar gewesen. Ein Zufall? Oder doch ein Hinweis auf etwas anderes?
Er hatte damals empfohlen, ein Röntgenbild machen zu lassen, um sicherzugehen, dass kein Fremdkörper im Kronenrand steckte. Die Klinik brachte jedoch keine Klarheit. Sechs Wochen später war die Verdickung zwar noch da, aber immerhin dünner geworden, und das Pferd lahmte nicht mehr. Ein Fall, der ihn zum Nachdenken brachte – nicht spektakulär, aber doch interessant.
Dann war da die Stute. Jedes Mal, wenn er sie sah, fragte er sich, wie ein Pferd so dick sein konnte, ohne dass es zu einem Rehschub kam. Es war fast schon ein kleines Wunder. Die Besitzerin ritt sie regelmäßig, was sicherlich half, aber er konnte nicht umhin, sich auszumalen, was passieren würde, wenn das Training einmal aussetzte. Er hatte so etwas schon bei einem anderen Pferd erlebt – und die Folgen waren nicht schön.
Und dann kam der Moment, der den Tag endgültig verlängerte. „Mal eben“ sollte er nach einem alten Pferd schauen, das seit ein oder zwei Wochen auf einem Bein lahmte. Die Besitzerin war eine langjährige Kundin, und er wollte ihr helfen, auch wenn die Geschichte des Pferdes alles andere als klar war. Die Tierärztin hatte ein Sehnenproblem vermutet, doch die Symptome passten nicht recht zusammen. Pulsation in beiden Hufen, Empfindlichkeit auf die Zange, eine deutliche Trachtenfußung – und das alles Anfang Oktober.
Er konnte nicht anders, als an Cushing zu denken. Er hatte schon Pferde gesehen, die um diese Jahreszeit ähnliche Symptome zeigten und schließlich eine Hufrehe entwickelten. Es war ein verworrener Fall, einer, der ihn nicht loslassen würde. Morgen würde er mit der Tierärztin sprechen, die Situation erörtern und hoffentlich mehr Klarheit gewinnen.
Aber für heute war Schluss. Feierabend. Ein Tag, der so unspektakulär begonnen hatte, war doch noch zu einem kleinen Puzzle geworden. Mit einem leichten Kopfschütteln und einem Hauch von Ironie dachte er daran, wie oft „mal eben“ zu „deutlich später“ wurde. Morgen würde es weitergehen – aber jetzt war Zeit für Ruhe.
