Als Hufschmied bin ich nicht nur dafür da, Pferdehufe zu pflegen und zu korrigieren – meine Arbeit geht oft weit darüber hinaus.
Über die Jahre baue ich eine enge Beziehung zu den Pferden auf, die ich betreue, und ebenso zu ihren Besitzern. Gemeinsam erleben wir die Höhen und Tiefen des Lebens dieser wundervollen Tiere.
Doch eine der schwersten Aufgaben in meinem Beruf ist es, zu erkennen, wann die Zeit gekommen ist, ein Pferd gehen zu lassen.
Dieser Moment ist nie einfach, weder für den Besitzer noch für mich.
Ein Fall, der mich tief bewegt hat: Ein Gnadenbrotpferd und sein Kampf gegen den Hufkrebs
Vor kurzem wurde ich mit einer besonders schweren Situation konfrontiert, die mich noch lange nachdenklich stimmte.
Ein Gnadenbrotpferd, das seit geraumer Zeit an Hufkrebs litt, musste letztendlich eingeschläfert werden. Dieses Pferd hatte einen liebevollen Besitzer, der alles für sein Tier getan hatte, um ihm ein möglichst lebenswertes Leben zu ermöglichen.
Aber die Krankheit war zu weit fortgeschritten als ich das Pferd in meine Kundschaft bekam, und wir mussten gemeinsam eine schwierige Entscheidung treffen.
Wir führten lange und intensive Gespräche darüber, was das Beste für das Pferd wäre.
Eine klinische Behandlung mit aufwendigen Eingriffen wäre eine Option gewesen, aber der Besitzer entschied sich dagegen. Die Belastungen einer solchen Behandlung schienen nicht im Verhältnis zu den möglichen Erfolgen zu stehen.
Stattdessen wählten wir einen palliativen Ansatz, der darauf abzielte, das Leben des Pferdes so angenehm wie möglich zu gestalten, ohne es unnötig leiden zu lassen.
Ich pflegte die Hufe des Pferdes weiterhin regelmäßig, in der Hoffnung, dass diese Form der Betreuung seine Lebensqualität bis zum Ende erhalten könnte. Doch irgendwann kam der Punkt, an dem klar wurde, dass es dem Pferd nun schlechter ging. Es bekam Schmerzen und begann etwas zu lahmen. Das Pferd verlor an Lebensfreude. Innerhalb einer Stunde nach meinem letzten Besuch wurde das Tier eingeschläfert.
Dieser Moment war für mich ein tiefer Einschnitt. Solche Erfahrungen werfen viele ethische und moralische Fragen auf, denen ich mich immer wieder stellen muss: Darf man als Mensch überhaupt über das Leben eines Tieres entscheiden? Darf man entscheiden, ob eine Krankheit behandelt wird? Und wie erkennt man den richtigen Zeitpunkt, ein Pferd gehen zu lassen?
Wann ist ein Leben für ein Pferd noch lebenswert?
Die Frage nach dem „richtigen Zeitpunkt“ beschäftigt mich in meiner Arbeit ständig. Ich betreue insgesamt schätzungsweise mehr als 90 „Gnadenbrotpferde“ Dies sind alles Pferde, die noch ihren ursprünglichen Besitzer haben, also nicht beispielsweise an einen Verein übereignet wurden. Sie alle haben Einschränkungen, die einer weiteren „Nutzung“ entgegenstehen. Besonders bei älteren Gnadenbrotpferden, die mit chronischen Krankheiten oder Altersbeschwerden leben, sehe ich oft Tiere, die trotz ihrer körperlichen Einschränkungen Lebensfreude zeigen.
Ein Pferd, das an Arthrose leidet oder lahmt, mag auf den ersten Blick nicht mehr „gesund“ wirken. Doch wenn man genauer hinschaut, entdeckt man oft Zeichen von Lebenswillen und Freude: wache Augen, ein gespitztes Ohr, das Interesse an den anderen Pferden auf der Weide.
Ein humpelndes Pferd, das trotz allem seine Umgebung aufmerksam wahrnimmt, soziale Kontakte pflegt und vielleicht sogar ab und zu galoppiert, kann ein erfülltes Leben führen. Aber ist es dann richtig, dieses Leben vorzeitig zu beenden, nur weil es nicht mehr perfekt ist? Diese Frage ist extrem schwer zu beantworten, und sie führt mich immer wieder zu grundsätzlichen Überlegungen darüber, was ein „lebenswertes Leben“ für ein Pferd bedeutet.
Für mich steht fest: Solange ein Pferd Lebensfreude zeigt, sei es durch seine sozialen Kontakte, durch Neugier oder einfach nur durch die kleinen Momente, in denen es genießt, in der Sonne zu stehen, sollte es die Chance haben, dieses Leben fortzusetzen. Die Frage, wann das Leiden überwiegt und die Lebensqualität so stark eingeschränkt ist, dass ein Ende besser ist als das Fortbestehen, kann nicht pauschal beantwortet werden. Sie muss individuell betrachtet werden – für jedes Pferd und jede Situation.
Die moralische Verantwortung des Menschen: Nutzen vs. Leben
In meinem Beruf sehe ich immer wieder den Konflikt zwischen der Sichtweise, dass Pferde auch als Nutztiere betrachtet werden, und der emotionalen Bindung, die wir zu ihnen aufbauen. Als Mensch, der Leder trägt und Fleisch isst, akzeptiere ich einen gewissen Grad an Tierleid. Doch wo ziehe ich die Grenze, wenn es um die Beziehung zwischen einem Pferd und seinem Besitzer geht? Darf ich den Besitzer, der das Tier mehr als Nutztier sieht und seine Entscheidungen unter diesem Aspekt trifft, dafür verurteilen, wo ich doch selber in Kauf nehme, dass für meine Kleidung und Ernährung Tiere als Nutztiere gehalten werden? Heute stellt sich diese Frage für mich nicht mehr oft, da ich überwiegend mit Freizeitreitern arbeite. In früheren Jahren war ich jedoch auch intensiv im Sport- und Rennpferdebereich tätig.
Es gibt Pferde, die ihr Leben lang als Arbeitstiere oder Sportpferde gedient haben. Doch was passiert, wenn sie alt werden oder eine schwere Krankheit haben und „ihren Zweck“ nicht mehr erfüllen können? Sollte ein Pferd dann eingeschläfert werden, nur weil es keinen Nutzen mehr bringt? Diese Frage ist besonders heikel, wenn der Besitzer das Pferd primär als Nutztier sieht und weniger als Familienmitglied.
Im Fall des Gnadenbrotpferdes, das ich betreute, war dies nicht die Situation. Der Besitzer hatte eine tiefe emotionale Bindung zu seinem Pferd und wollte das Beste für es tun. Doch ich weiß, dass es immer wieder ähnliche Fälle gibt, in denen die Entscheidung, ein Pferd zu euthanasieren, primär auf wirtschaftlichen Überlegungen basiert. Dies ist ein schwieriges Thema, das uns zwingt, über unsere Verantwortung als Menschen gegenüber Tieren nachzudenken.
Wo ziehen wir die Grenze zwischen wirtschaftlicher Vernunft und moralischer Verpflichtung?
Über schwierige Entscheidungen sprechen – ohne zu verurteilen
Ich bin der Meinung, dass wir offen über solche Themen sprechen sollten. Es ist einfach, von außen über die Entscheidungen anderer zu urteilen, aber jede Situation ist einzigartig. Die Entscheidung, wann ein Pferd eingeschläfert werden sollte, ist niemals leicht, und sie verdient es, mit Respekt und Verständnis behandelt zu werden.
Es gibt keine klare Antwort auf die Frage, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Jedes Pferd, jeder Besitzer und jede Situation ist anders. Manchmal gibt es Fälle, in denen die körperlichen Beschwerden des Pferdes überwiegen, und es ist der richtige Weg, es von seinem Leiden zu erlösen. Doch in anderen Fällen, wie bei den Gnadenbrotpferden, die vielleicht an Arthrose oder Lahmheit leiden, sehe ich oft, dass diese Tiere trotz ihrer Einschränkungen ein glückliches Leben führen.
Ich finde es wichtig, dass wir uns gegenseitig unterstützen, statt vorschnell zu urteilen. Jeder Pferdebesitzer muss diese Entscheidung für sich selbst treffen, und es gibt keine universelle Antwort. Was für das eine Pferd richtig ist, kann für ein anderes falsch sein. Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass es sich um sehr persönliche und emotionale Entscheidungen handelt.
Die schwerste Aufgabe: Ein Tier loslassen
Letztendlich bleibt es für mich eine der schwersten Aufgaben in meinem Beruf, einem Pferdebesitzer zu sagen, dass es keine Hoffnung mehr gibt. Der Moment, in dem klar wird, dass die Zeit gekommen ist, das Pferd gehen zu lassen, ist immer schmerzhaft – für den Besitzer, aber auch für mich. Es erfordert eine große innere Stärke, diesen Schritt zu gehen, doch es ist Teil der Verantwortung, die wir als Menschen für die Tiere übernommen haben.
Es wird für mich immer ein Graus bleiben, dem Besitzer eines Pferdes zu sagen, dass der Moment gekommen ist, das Tier zu erlösen. Doch diese Gespräche müssen geführt werden, und sie sind ein Teil der Realität, der wir uns stellen müssen. Es ist nie einfach, sich zu verabschieden, aber es gehört zum Leben mit Pferden dazu.
Am Ende sind es diese schwierigen Entscheidungen, die uns daran erinnern, wie tief die Bindung zwischen Mensch und Tier sein kann. Es ist unsere Aufgabe, für das Wohl der Pferde zu sorgen, solange sie leben – und sie in Würde gehen zu lassen, wenn ihre Zeit gekommen ist.